Groß-Gerauer Geschichten
Man soll nicht sagen, in Gerau  sei nichts los!
Eine Gerauer Geschichte, erzählt von Franz Flach

Die Trinebette hieß eigentlich Catharina Elisabetha Cappel. So steht es jedenfalls im Kirchenbuch des Jahres 1666, wo mit Datum vom 28. Oktober vermerkt ist, daß sie die Heilige Taufe empfing. Aber wer macht sich bei einem einfachen Mädchen schon die Mühe, einen doch immerhin schönen, aber langen Doppelnamen auszusprechen. Das taten wohl nur die ganz vornehmen Leute, die auch viel mehr Zeit für dergleichen hatten. Trinebette war früh verwaist, ihre Mutter starb, als sie acht Jahre alt war, der Vater war schon vorher verstorben.

So hatte sie im Pfarrhaus ein Unterkommen gefunden, wo sie von der Familie des Pfarrers Heinrich Graulich wie eine Tochter gehalten wurde. Und als Graulich 1685 in den Ruhestand trat, blieb sie im Pfarrhaus. Und als dessen Nachfolger, der Metropolitan Christof Strack, eines Tages im Jahre 1691 auf dem Weg nach Büttelborn einem Schlaganfall erlag, da wurde sie auch von der Familie des Metropolitans Johann Wendel Glöckner übernommen, wo sie wie gewohnt der Hausfrau zur Hand ging.

Eigentlich spielt die Trinebette in der Stadtgeschichte gar keine Rolle. Aber das, was sie eines Tages, als sie aufgeregt ins Pfarrhaus kam, zu erzählen hatte, erschien dem Pfarrer doch wert, in seine tagebuchähnlichen Aufzeichnungen aufgenommen zu werden. Schließlich führte er, wie die meisten seiner Vorgänger, ziemlich genau Buch, auch über vermeintlich Unwichtiges, was indes das, was da amtlich zu Papier gebracht wurde, oft sinnvoll ergänzte. Und so war dann eines schönen Vormittags, präzise dem 30. März des Jahres 1692, die Trinebette voller Hast und außer Atem ins Pfarrhaus gelaufen, um zu berichten, daß ein Trupp bewaffneter Reiter vom Frankfurter Tor her in die Stadt und Richtung Rathaus geritten war, was sicherlich nichts Gutes bedeutete.

Schließlich hatte die Trinebette in ihrem jungen Leben schon oft erfahren müssen, was es bedeutet, wenn fremdes Kriegsvolk in die Stadt einfällt. Als sie sieben Jahre alt war, also im Jahre 1673 besetzten Franzosen das Gerauer Land. Und ihr Anführer, der Henri de Latour d'Auvergne, Vicomte de Turenne und Marschall von Frankreich, residierte im Rathaus, von wo aus er ein gar strenges Regiment führte.Im Verlauf der immer wieder aufflackernden Zwistigkeiten löste sich die Sodateska der verschiedensten Couleurs ab in Raub, Mord und Plünderung. Vor drei Jahren, im Jahre 1689 also, Trinebette war gerade 22 Jahre alt geworden, kam der französische General Ezéchiel Comte de Mélack im Verlauf des sogenannten Pfälzischen Erbfolgekrieges, nachdem er die Pfalz weidlich verwüstet hatte, über den Rhein. Die von seinen Soldaten gepeinigte Bevölkerung verhöhnte ihn wegen eines Augenschadens als "Mehlaach".Mit dem Mehlaach kam übrigens auch unser "urhessischer" Bembel ins Land. Die Franzosen hatten umgangssprachlich für ein bauchiges Gefäß das Wort "la bombe". Die Pfälzer nun, gewohnheitsmäßig die Dinge zu verniedlichen, machten daraus "es Bömbel". Und als "es Bömbel" über den Rhein kam ins Hessische, wurde daraus "de Bembel" speziell für das Nationalgetränk, den Ebbelwoi.

Die Höhepunkte Melac´schen Wirkens waren die Zerstörung des Heidelberger Schlosses, die Schleifung der Festung Rüsselsheim und am 14. Februar gleichen Jahres die Niederbrennung des Schlosses Dornberg. All das hatte ohne Zweifel das junge Mädchen, wie viele andere auch, wohl allergisch gemacht gegen fremde Soldaten, so daß es schnurstracks zum Pfarrhaus lief, um die Nachricht loszuwerden. Und da die Trinebette noch mit einer gehörigen Portion Phantasie ausgestattet war, konnte sie ihre Schlußfolgerung noch dadurch untermauern, und auch das notierte der Herr Pfarrer exakt, daß ihr am frühen Vormittag, als sie just zwei Krüge mit Wasser vom Brunnen holte, des Schultheisen Jacobi schwarzer Kater vor die Füße gesprungen war, daß sie fast die Krüge habe fallen lassen. Hier merkte der Herr Pfarrer an, daß dies zwar unchristlicher Aberglaube sei, der Vollständigkeit halber indes auch aufgezeichnet sein solle. Nun, was der Trinebette ihr Tagesprogamm so vehement durcheinander gebracht hatte und den Herrn Pfarrer veranlaßte, sich ohne Säumen auf den Weg zum Rathaus zu machen, hatte eine sehr lange, teils aufregende, bisweilen auch etwas grotesk anmutende Vorgeschichte.

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Die Geschichte stammt aus dem Buch Gerauer Geschichten,
Es ist im örtlichen Buchhandel erhältlic
h. Foto: privat


Franz Flach, Jahrgang 1921,
war Leiter des Groß-Gerauer Stadtarchivs. Im Rahmen dieser Tätigkeit beschloß er, die Stadtgeschichte nicht nur in Konvoluten und Faszikeln geordnet in Regale einzustellen, sondern
sie auch in der rechten Weise
publik zu machen. Dies fand
seinen Niederschlag in zahlreichen Veröffentlichungen.. Dabei kam
es ihm vor allem darauf an, die Stadtgeschichte auch für "Nichtfachleute" interessant zu gestalten. In erzählendem, unterhaltsamen und zuweilen auch amüsantem Stil will er auch die Menschen ansprechen, die sich
für Historie nur wenig interessieren.